Osnabrück I „Kirchenbote für das Bistum Osnabrück“ vom 13. Februar 2020
(Autorin Astrid Fleute)
Eine Gesellschaft verändert sich, wenn es normal ist, dass Männer Frauen kaufen können. Vereine und Politiker setzen sich daher für ein Sexkaufverbot in Deutschland ein – unter ihnen Christian Calderone aus Quakenbrück
Viele Anwohner und Autofahrer ärgern sich über liegengebliebene Kondome und Papiertaschentücher. Andere fürchten Unruhe und Verkehrsunfälle durch Gaffer. Wieder andere haben Mitleid, wollen helfen. Der Straßenstrich an Bundesstraßen im Osnabrücker Land bewegt die Menschen. „Das ist das Unwürdigste, was man sich vorstellen kann. Es gibt dort keine soziale Kontrolle, keine sanitären Anlagen, die Frauen stehen dort bei Wind und Wetter. Es ist schlimm, was da passiert“, regt sich auch Christian Calderone, CDU-Landtagsabgeordneter aus Quakenbrück, auf. An der B 68, die durch seinen Wahlkreis führt, stehen die betroffenen Frauen am Straßenrand.
Der Poltiker möchte ihnen und den Menschen in seinem Wahlkreis helfen, diese „widerlichen Szenen“ zum Wohle aller auflösen. Kein einfaches Vorhaben, wie er schnell merken musste. Denn die Polizei und der Landkreis, so erfuhr er zunächst, können wenig gegen den Straßenstrich ausrichten. Prostitution ist in Deutschland seit 2002 legal, gilt als sogenannte „Sexarbeit“ und wird weitgehend akzeptiert. Die Frauen hätten Papiere, es könne ihnen nicht nachgewiesen werden, dass sie unter Zwang arbeiteten, erklärten ihm die Beamten.
Das Thema ließ den Politiker aber nicht los. Er suchte daher den Kontakt zur Menschenrechtsorganisation SOLWODI. Der gemeinnützige Verein, 1987 von Schwester Lea Ackermann gegründet, setzt sich für die Rechte von Migrantinnen ein, die in Deutschland in Not geraten sind. Die Abkürzung steht für „SOLidarity with WOmen in DIstress“ (Solidarität mit Frauen in Not). Calderone informierte sich über ihre Arbeit und die Situation der Frauen. Viele seien Opfer von Menschenhandel, Ausbeutung, Gewalt oder Zwangsheirat, erfuhr er. Prostitution stehe dabei auf der Tagesordnung.
Schon lange setzen sich die SOLWODI-Sisters für eine bessere rechtliche Grundlage der Prostituierten ein. Mit dem Quakenbrücker Politiker haben sie nun weitere promintente Unterstützung erhalten. Er hat das Thema in die Landtagskoalition eingebracht und setzt sich dort für die Einführung des „Nordischen Modells“ ein: Das sieht ein Sexkaufverbot vor, was allerdings in vielen Ländern zur Folge hat, dass auch sämtliche Hilfen für betroffene Frauen gestrichen werden. Calderone weiß: „Das wird nicht unkritisch gesehen. Aber es ist der Versuch einer Lösung.“ Das Gesetz wird von der Europäischen Union (EU) empfohlen und gilt bereits in Schweden, Norwegen, Island, Irland, Nordirland, Kanada und Frankreich. Erste Erfolge: Studien in Norwegen und Schweden belegen einen deutlichen Rückgang von Prostitution und Menschenhandel.
Da das Modell aber längst nicht in allen Ländern der EU gilt, verlagert sich das Problem derzeit nur. „Die Nachfrage wird immer höher, die Preise fallen. Deutschland hat sich zum Bordell Europas entwickelt“, beklagt die Vorsitzende von SOLWODI Osnabrück, Martina Niermann. Ursprünglich sei das in Deutschland seit 2002 geltende Prostitutionsgesetz, mit dem das Gewerbe legalisiert wurde, zum Schutz der betroffenen Frauen eingeführt worden. Die Idee war: Frauen sollen arbeiten können, ohne sich verstecken zu müssen. Das Problem: Je liberaler das Prostitutionsgesetz ist, desto mehr Menschen werden von kriminellen Banden ins Land geschleust. Gewalt, Ausbeutung, Erniedrigung, Traumatisierung sind die Folgen. „Frauen werden zur Ware degradiert“, beklagt Martina Niermann und sieht darin einen Verstoß gegen die Menschenwürde.
Für seinen Einsatz ist die Vorsitzende dem Politiker sehr dankbar. Auch bei anderen Parteien finde langsam ein Umdenken statt, freut sie sich. Das „Nordische Modell“ ist für sie derzeit die einzige Alternative. Denn legale Prostitution fördere nicht nur Menschenhandel und setze die Würde der Frau herab, sie verändere auch eine Gesellschaft: „Prostitution ist bei uns selbstverständlich geworden, es kommen immer mehr Frauen, die Lobby ist leider sehr stark. 18-jährige Schüler erhalten in Deutschland sogar schon einen freien Eintritt ins Bordell. Nur wenige setzen sich damit auseinander, was dahintersteckt.“
Menschenhandel entmenschliche auch die Täter, betont Martina Niermann. „Die Freier sind ebenso betroffen. Wenn sie zu Prostituierten gehen, wirkt sich das auch auf ihre Familien und auf ihr Umfeld aus. Der Respekt vor Frauen sinkt, der Umgang wird roher. Das will keiner.“ Gemeinsam mit Christian Calderone hofft die Vorsitzende, dass in Deutschland eine Diskussion darüber in Gang kommt, denn nur die Bundespolitik kann eine Änderung der gesetzlichen Regelungen beschließen. „Es macht keinen Sinn, bei diesem wichtigen Thema an ,alten Zöpfen‘ festzuhalten“, betont der Politiker.
Ein Sexkaufverbot alleine löse die Probleme der Frauen allerdings nicht, betont Martina Niermann und sieht ein Paket an wichtigen Aufgaben, die dazukommen: „Wir brauchen mehr Prävention, Beratung und aufsuchende Arbeit, es muss qualifizierte Ausstiegsprogramme geben, mehr finanzielle Hilfen, Sprachkurse und eine geregelte Rückkehr ins Heimatland.“ Die Frauen hätten meist nur wenig Schulbildung, seien mit Halbwahrheiten ins Land gelockt worden, lebten mit anderen Frauen und Zuhältern oft jahrelang wie in einem Ghetto. Das müsse aufgearbeitet werden. In Schweden würden darüber hinaus zum Beispiel die Polizisten speziell ausgebildet, in den Schulen und Kitas werde über Gleichberechtigung gesprochen. Das habe zu einem Umdenken in der Gesellschaft geführt – eine weitere wichtige Folge des „Nordischen Modells“.